Tag 5 Sextener Dolomiten


Sonntag, 30.04.2006 / Eingeschneit am Passo Tre Croci (1809 M) / Misurina / Rundfahrt durch die Sextener Dolomiten / Rückfahrt über das Pustertal nach Kals / Biwak am Lucknerhaus

Als ich früh erwache sind die Scheiben mit Schnee bedeckt. Beim Öffnen des Fensters fällt Schnee herein. Ich will kurz nach draußen, um zu sehen, ob es schon hell wird, um vielleicht ein gutes Bild zu machen. Die Tür lässt sich erst mal nicht öffnen. Ich verstehe erst überhaupt nicht - fühle mich wie 'eingemauert'; dann wir mir klar, das Auto ist komplett eingeschneit. Und wie es schneit - in kräftigen, dicken Flocken, wie ich jetzt sehe. Mein erster Gedanke: Wie komme ich so schnell wie möglich hier von der Passhöhe wieder weg? Ich muss in tiefere Gefilde - und zwar schnell. Ein wenig Panik überfällt mich, bei dem Gedanken festzusitzen. Alleine - hier oben. Ich probiere anzufahren. Es geht. Ich kann mit der Stoßstangenfront den Schnee wegschieben und immer wieder neu Anlauf nehmen. Ein Segen, dass die Winterreifen noch drauf sind, was ich meiner Frau verdanke. Sonst ginge hier wohl gar nichts mehr. Bei zu viel Schnee unter dem Auto sitzt es fest und ich muss immer wieder raus und mit dem Pickel unterm Auto und um die Räder herum freimachen. Endlich auf der Passstraße geht es abwärts - aber nur etwa 10 Meter. Dann stecke ich endgültig fest. Im Nachhinein gut - denn jetzt beginne ich langsam einen klaren Kopf zu kriegen und denke erstmals nach. Der wohl schlechteste Platz - mitten auf der Straße - im Dunkeln. Ein Auto kann hier nicht fahren, aber was ist, wenn ein Schneepflug kommt und mich hier nicht sieht? Ich schalte die Warnblinkanlage an und befreie das Auto rings herum und unten wieder von Schnee. Zum Glück habe ich noch einen 90-er Pickel mit einer etwas größeren Schaufel dabei. Ich habe keine Wahl - nur eine Option: Wenn's irgendwie geht, wieder zurück. Nach unten, abwärts ist absolut unmöglich. Es ging dann - wider Erwarten - ganz gut zurück an den alten Platz. Gott sei Dank. Jetzt bin ich erst mal wieder in Sicherheit. Also das war Stress pur - etwa zwei Stunden lang - der jetzt aber langsam abfällt. Ruhe und Gelassenheit kommen zurück. Mit dem Foto werde ich jetzt erst mal die Gegend erkunden und schöne Bilder machen. Ich spüre, dass es sehr kalt wird. Die Höhe des Neuschnees ist etwa 50 - 60 Zentimeter. Da wo der Wind ihn verfrachtet, auch bis zu einem Meter. Auf der Passstraße erkunde ich das Gebiet an der Westrampe zu Cortina d'Ampezzo. Nach etwa einer Stunde, es ist jetzt hell, komme ich zurück und beobachte erfreut den vorbei fahrenden Schneepfug. Jetzt ist erst mal das Biwak gänzlich vom Schnee zu befreien und dann in Ruhe einen Kaffee trinken - nach diesen ereignisreichen Stunden heute Morgen. Also - das Auto ist ein geniales Biwak - das Beste das ich kenne. Es braucht weder ab- noch aufgebaut zu werden. Und es fährt wohin ich will. Und es schützt wie eine zweite Haut.

Mit dem Großglockner wird's wohl wahrscheinlich nichts mehr. Ich will es noch offen lassen, kann es mir aber heute nicht mehr vorstellen. Viel Spurarbeit kann ich alleine nicht leisten - bei so viel Schnee. Außerdem ist die Lawinengefahr jetzt sehr hoch. Also! Ob ich noch ein bisschen hier bleibe, bevor ich zu den Drei Zinnen fahre? Warum eigentlich nicht? Ich werde mir einen Tag mehr Zeit lassen und erst montags wieder zum Lucknerhaus zurückkehren. Nach der Passabfahrt heute Morgen werde ich nochmal nach Misurina rüberfahren, um schöne Fotos zu machen - was sich dann auch wirklich gelohnt hat. Zur richtigen Zeit eben am richtigen Ort. Denn nach einer Stunde zog der Nebel die Berge wieder zu. Ich war auch noch mal in Lavaredo, was ich mir allerdings hätte sparen können. Die Cimes blieben verhüllt. Habe hier noch mal meinen jetzt total eingeschneiten Biwakplatz von der vorgestrigen Nacht inspiziert. Ich konnte dann doch noch den Einbruch auf der Auronzo-Hütte melden - und zwar einem LKW-Fahrer der Straßenmeisterei in Misurina. Es war eine sehr nette Begegnung. Denn es war der Schneepflugfahrer, dem ich heute früh am Tre-Croci-Pass schon zugewinkt hatte. Außerdem erinnert er mich an meinen Opa, der auch Straßenwärter war.

Am Abend wieder zurück am Lucknerhaus schreibe ich in mein Tagebuch: In den Sextener Dolomiten tat sich für mich nichts mehr - auch nicht bei den drei Zinnen. Hätte ich nicht einen jungen Italiener gefragt wäre ich jetzt noch drüben - am Passo Monte Croce. Ich hätte dort irgendwo übernachtet und am nächsten Morgen die Drei Zinnen*9 gesucht, die dort aber nicht zu sehen sind, wie ich jetzt weiß. Viel habe ich, was der Italiener sagte, nicht verstanden - aber das schon. So kaufte ich in Auronzo (1585 M) Milch und Trockenobst und fuhr dann über den Passo St. Antonio / Passo del Zovo (1489 M) die 52-er Straße hoch. Über Imichen, das Pustertal und Lienz - hier zeigte der Tacho exakt 1000 km an - wieder zurück nach Kals am Großglockner. Zwischendurch rief ich bei meinem Bruder Thomas und bei meiner Frau Roswitha an. Hoffentlich klappt es morgen mit dem Aufladen meines Handys. Die 'Tre Cimes' werde ich zu Hause genau studieren. Alles, was ich bislang über sie schrieb, erscheint mir jetzt fragwürdig. Ich sprach von der Westzinne, was vermutlich die Mittelzinne ist, die ihrerseits wiederum die letzte, die kleine Zinne verdeckt. Gerade habe ich - hier auf dem Lucknerhaus-Parkplatz - mit zwei Polen gesprochen, die morgen aufsteigen. Auch für mich geht's morgen nun endlich los. Das Wetter soll, spätestens ab Mittag, gut werden. Ich muss und werde alles versuchen, was geht. Dennoch muss ich zu mir selber sagen: HP - ganz ruhig bleiben. Es ist ein großer Unterschied, alleine oder zu zweit. Aber allein - fühle ich mich nicht.

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*9 Ich wollte die Zinnen unbedingt noch von der Ostseite her erkunden. Die Sicht war aber, trotz leichter Wetterbesserung, sehr schlecht.

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